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Der Autor ist anwesend …

oder auch nicht. Juli Zeh sendet Grußworte per Audio-Datei an die Besucher und Besu-cherinnen einer Lesung zu ihrem Roman „Zwischen Welten“. Ihr Co-Autor Simon Urban ist anwesend.
Knapp ein Jahr nach seiner Veröffentlichung entpuppt sich der Roman als Glaskugel für die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen des Jahres 2023. Und die Kon-struktion der Erzählung, ein Dialog zweier Menschen mit äußerst unterschiedlichen An-sichten, als Glücksfall.
Die Lesung findet im Schmuckkästchen der Parkanlage von Bad Salzhausen statt, im Parksaal. Bäderarchitektur nennt sich das. Ziemlich barock…
Den Roman las ich rund um meinen Geburtstag, den ich auf Kreta verbrachte. Bei guten Büchern, denen, die im Gedächtnis verhaftet bleiben, erinnere ich mich, an welchem Ort ich sie gelesen habe.
Nun liegen Welten zwischen der brandenburgischen Juli Zeh-Dorfwelt und dem ham-burgischen Simon Urban-Großstadt-Leben in den Buchseiten und der kretischen Touri-all-inclusive-Enklave. In jenen Tagen spürte ich vielleicht deshalb eine Abwehrhaltung gegen die „Schon wieder Brandenburg“-Thematik.
Heute also die Lesung. Gehört zum bildungsbürgerlichen Habitus wie ein Theater- oder Museumsbesuch.
Von der Bühne erklingt also Juli Zehs Stimme aus Simon Urbans Smartphone. Im Hinter-grund schnaubt ein Pferd und gackern Hühner. Brandenburgische Landidylle. Juli Zehs Heim – oder Zuflucht?
Simon Urban liest die Nachrichten und Mails von „Stefan“. Redakteur der Zeitung „DER BOTE“, unschwer als „DIE ZEIT“ wiedererkennbar. Magdalena Kaim liest die Bäuerin „The-resa“, wie die Autorin selbst eine in Brandenburg „beigeschmeckte“ Westdeutsche.
Die beiden Romanfiguren fetzen sich trefflich in drei Leseblöcken.
Kaims Stimme passt mir nicht so recht zur Figur. Dazu lässt sich ein s-t-Sprechfehler wie nach einer Kieferkorrektur nicht überhören. Schade! (Als Schauspielerin sollte sie ei-gentlich wissen, wie man Hybris ausspricht. Ja, ja, ich weiß, Deutschlehrermanie.)
Simon Urban kommt locker und relaxt rüber. Er kennt die Location von einer Hochzeits-feier (nicht seiner eigenen). Der Moderator des Abends, Martin Guth, stellt seine Biogra-fie vor. Oha, er hat sich seine ersten Meriten in der Werbung verdient
( https://www.youtube.com/watch?v=V6-0kYhqoRo ), so wie vor 100 Jahren Erich Kästner.
„Wie eine Doppelhelix muss man sich die Planung des Romans vorstellen.“, antwortet er auf die Frage nach der Zusammenarbeit mit Juli Zeh. Zwei verwobene Handlungssträn-ge, die sich punktuell annähern und sonst eine eigene Entwicklung verfolgen. Der Abend beginnt mir zu gefallen, auch weil sich Simon Urban als ein kluger und weltoffener Mensch zeigt. Im Talk plädiert er für mehr Zurückhaltung und Besonnenheit im öffentli-chen Diskurs. Als Werbefachmann kennt er den Wert der Währung „Aufmerksamkeit“ zur Genüge. Doch nicht jeder Marktschreier bietet wohlfeile Waren an. Gleichwohl schließt er mit einem Zitat aus dem Roman: „Da draußen ist ein Monster!
Das Monster, das Böse, hat sich breit gemacht. Wie Baal hockt es in der medialen Welt und gießt freudlos Öl in die Feuer der Meinungsmache. Vor 110 Jahren hat sein Feuer einen Weltenbrand entfacht.
Zum Schluss ein Literaturtipp: Susanne Schröter: Der neue Kulturkampf: Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht. Herder Vlg., 2024.

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